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Die Dosis macht das Gift?

Meine Jugend verbrachte ich im Jugendraum unserer kleinen Aglo-Gemeinde, über dessen Bar an der Wand stand, in altdeutscher Schrift: «Allein die Dosis macht das Gift». Jeder 14-Jährige, der sich zum ersten Mal in den Dachstock mit den schmuddeligen Sofas wagte, wurde vom untersetzten Jugendarbeiter auf die weisen Worte von Arzt Paracelcus aufmerksam gemacht. Es war als Appell an die Selbstverantwortung im Umgang mit Alkohol zu verstehen.
Für uns aber war der Satz des Arztes die Legitimation zum masslosen Konsum von Cannabis. Während Paracelcus nie so genau sagen konnte, welche Dosis denn nun die richtige war, waren wir uns in der Clique nach einigen mutigen Selbstversuchen einig: Ein Gramm «Möggä» auf den Tabak einer Zigi, geraucht von zwei Personen galt als guter Einstieg in ein verhangenes Wochenende. Zwar variierte die Dosis je nach Lieferung, die eigentliche Problematik bei der Untersuchung lag aber darin, dass pro Wochenende nur ein Joint der Erste und folglich dienlich für die Messung war.
Nach eben diesem Ersten begann jeweils das Wettrüsten: Zwei Gramm auf zwei Zigis, drei Gramm auf drei Zigis, wir rollten mit Endlospapier von Ripps statt in OCBs und es galt: Je länger desto fantastisch. Die Besten von uns schafften vier Gramm in vier Zigis und wir waren der Überzeugung: Paracelcus würde sich im Grab umdrehen, wüsste er, was wir in seinem Namen treiben.
Was uns der Jugendarbeiter damals nicht erzählte war, dass Paracelcus und seine Weisheit im 15 Jahrhundert durch die Behandlung der Geschlechtskrankheit Syphilis bekannt wurde. Obwohl es seine Patienten reihenweise niederstreckte, hielt er stur an seiner Quecksilbertherapie fest und behauptete sie als das einzige wirksame Mittel gegen die tödlichen Bakterien.
Insofern dürfte Paracelcus seit der Entdeckung von Antibiotika nichts mehr wirklich aus der Grabruhe bringen. Eine Horde kiffender Jugendlicher schon gar nicht. Man sollte sich an ihm ein Beispiel nehmen.
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Johannes Sieber besuchte kürzlich die Sonderausstellung «Lust, Leid & Wissen – Eine Geschichte der Syphilis und ihrer Therapie» im Pharmaziemuseum Basel. Für den Kuppler schreibt er einmal im Monat von der Banalität des Alltäglichen und hofft, damit seinen Beitrag zur Verbesserung der Welt getan zu haben.
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www.meinetwegen.ch
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