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Langsam

Ich gehe langsam. Und das mit Konzept. Entgegen der Idee meiner Lehrmeisterin von damals, nach der zügiges Gehen besondere Geschäftigkeit vermittle, weiss ich: schnelles Gehen steht für Defizit in Organisation und was noch schlimmer ist: untergeordneten Stellenwert in der Ernährungskette.
Wer schnell geht, ist spät dran. Oder anders: er sollte bereits wo anders sein als er ist. Man könnte auch sagen: wo er ist, ist er fehl am Platz. Aber so weit müssen wir gar nicht gehen, denn: man kann davon ausgehen, dass wo er hingeht nicht auf ihn gewartet wird und das hat so oder so etwas Erbärmliches an sich, nicht?
Aus diesem Grund gehe ich langsam – auch wenn tatsächlich keine Sau auf mich wartet. Ich gehe langsam wie andere die Felgen ihres Autos polieren oder ins Kunsthaus oder in die Kirche gehen. Zur Pflege meines Images. Denn jetzt wo ich mir nach langem Sparen endlich eine 70-Euro Outlet-Carhartt Jeans erstanden habe, soll man mir den Working poor nicht am Gang ansehen.
Wer mich gehen sieht, soll denken: Wo der hin geht, wird auf ihn gewartet. Lieber lass ich den 8er bei der Kaserne fahren und gehe – langsam – bis zum Claraplatz, um von dort mit dem 14er über die Mittlere Brücke ins Grossbasel zu fahren, als dass ich – ausser Atem – im 8er stehend das ganze Kleinhüningen wissen lasse: Ich bin spät dran, ich bin einer von euch.
Aufs Tram rennen finde ich seit eh und je etwas von Niedersten überhaupt. Ich empfinde es als Demütigung, den Einstiegsknopf zehn cm vor dem Drücken erlöschen zu sehen. Dazu kommt mein Handycap Ticketlösen, da ich’s gelegentlich versiffe, das U-Abo einzuzahlen und ich meiner schwachen Nerven wegen nicht Schwarzfahren kann.
Apropos Schwarzfahren: Kürzlich beobachtete ich an einer Tramstation wie ein Working poor (er rannte in H&M-Jeans aufs Tram) quasi auf dem Trittbrett zum Einstieg realisierte, dass im Tram zwei BVB-Kontroleure ihr Unwesen trieben. Er stieg sofort runter von Trittbrett und wurde dennoch wegen Schwarzfahrens gebüsst. Erstaunlich, nicht?
Er hätte nicht rennen sollen. Ich ging langsam weiter.

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