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Ratgeber

Hätte ich mein Leben nicht den Kolumnen verschrieben, ich würde zusammen mit einem Musikjournalisten und einem Psychologen einen Ratgeber entwickeln. Eine Art Verzeichnis mit Anleitung, womit sich der Ratsuchende aus sämtlichen Hervorbringnissen der Musikgeschichte sein individuelles Programm zu Bewältigung der Trennung von seinem Freund oder seiner Freundin zusammenstellen kann.
Ein solches Programm hätte zwölf Schritte, denen jeweils ein Song zugeordnet wäre, dessen Wirkung auf die emotionale Befindlichkeit des Probanden sich von Schritt zu Schritt steigern würde und ihn so aus der blockierenden Lähmung zurück in ein fröhliches, unbeschwertes Leben führen würde. Wenn das kein Verkaufsargument ist?
Der Ratsuchende lädt sich aufgrund seiner Auswahl die Songs von unserer – selbstverständlich kostenpflichtigen – Downloadplattform auf seinen mp3-Player. Das Programm startet er bei Schritt und Song No.1. Diesen hört er sich Tag für Tag so oft an, bis er ihm derart zu den Ohren raushängt dass er ihm gegenüber Hassgefühle entwickelt.
Dann wechselt er zu Song No.2.
Wenn dieser nächste Song bei ihm unkontrollierbare emotionale Ausfälle provoziert, die sich von derartiger Heftigkeit auf sein Befinden auswirken, dass er lieber noch für ein paar Tage Song No.1 über sich ergehen lässt, soll er das tun. Andernfalls würde er sich Song No.2 zu Gemüte führen – und zwar so lange bis er erneut einen Schritt zu gehen bereit ist.
Final würde er einen Song hören, der ihn in all seinen Gefühlen, seinem Glauben an Unabhängigkeit und seiner pesönlichen Sinnhaftigkeit für Hoffnungen – kurz: in seinem ganzen Sein bestätigt.
Klingt überzeugend, nicht? Als ich die Idee kürzlich meinem Psychiater erzählte, wollte dieser nicht näher drauf eingehen. Ich vermute, dass er sie heimlich selber realisieren will. Diese Kolumne dient also quasi als Urheberschutz, denn bei Ideen gilt: wer es zuerst niedergeschrieben, dem gehört’s. Sorry, Dr. Martin.
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Johannes Sieber kann aufgrund selbsttherapeutischer Massnahmen seit letztem Sommer keine 2Raumwohnung mehr hören. Für den Kuppler schreibt er einmal im Monat von der Banalität des Alltäglichen und hofft, damit seinen Beitrag zur Verbesserung der Welt getan zu haben.
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www.meinetwegen.ch
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Published inUncategorized