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Musikdownload

Als das illegale Downloaden von Musik noch cool war, füllten wir Festplatte um Festplatte mit Musik, die wir nicht hören konnten, weil uns die Zeit dafür fehlte. Kürzlich, beim Umzug in mein neues Anwesen fiel mir ein solches Archiv in die Hände: Lacie, 120GB, damals noch ein Vermögen in der Anschaffung – wenn auch nicht ganz so viel wie die darauf gespeicherte Musik, hätte man diese legal erwerben wollen.
Doch wer bezahlt für Musik, die er sich nicht anhört? Niemand. Und trotzdem scheint es ein Bedürfnis zu geben, Discographien ungehörter Tonerzeugnisse über Jahre auf Festplatten zu speichern: Celine Dion, New Kids on the Block, Modern Talking oder die UK No.1-Hits 1956 bis 1996 – die Liste war endlos und ohne erkennbar logisches System.
Von Sammlung kann darum kaum die Rede sein, von Plattensammlung schon gar nicht. Viel eher handelte es sich um die willkürliche Ansammlung von Audio-Daten. Da ich die Musik letzten Endes weder spielte noch jemandem weiter gab, muss mich der Akt des Downloads am meisten fasziniert haben. Ich war der Goldgräberstimmung kurz vor Napstar & Co verfallen – als Downloadjunkie mit mehr Kenntnissen von Google als von Musik. Jedenfalls standen einhundert und zwei Tage Musik über acht Jahre ungehört zwischen Duden und ZGB in meinem Büchergestell und warteten darauf, gelöscht zu werden.
Heute nun war es soweit. Ohne Proteste von Musikrechtsorganisationen wurden die rund 40 Tausend Häftlinge acht Jahre nach der Deportation in die Todeszelle ihrer Hinrichtung zugeführt. Die herzlose Tastenkombination „Select-All-Delete“ vollzog die Massenexekution kurz und schmerzlos und ein abschliessendes „Return“ bestätigte das endgültige Überschreiben mit Nullen.
Das ging ohne mit der Wimper zu zucken. Nicht nur weil ich die Musik, die ich wirklich mag auf Vinyl im Regal stehen habe. Es ist auch das Wissen, dass ich dank Google und Internet einen Song wesentlich schneller finden würde, als im Datenchaos auf eben dieser Festplatte. Ausserdem kann ich heute wieder mit guten Gewissen meine Kollegen vom Musikvertrieb und der Suisa zum Nachtessen einladen.
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Johannes Sieber teilt sich seit kurzem einen Haushalt mit einem Vinyl-Platten-Sammler und hat seither wieder Zeit für das Hören von Musik. Für den Kuppler schreibt er einmal im Monat von der Banalität des Alltäglichen und hofft, damit seinen Beitrag zur Verbesserung der Welt getan zu haben.
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www.meinetwegen.ch
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